Persönliche Lichterlebnisse 




Eigentlich geht es nur um Pigmente auf irgendeinem Bildträger. Am besten die Pigmente noch verrührt mit einem Klebstoff, der die Farbe auf dem Bildträger fixiert. Die ersten Genies der Malerei, die der Höhlenmalereien der kantabrischen Alpen vielleicht, fixierten allerdings gar nichts, verrieben einfach Kohle und rote Erde auf den Felswänden. Was mögen die damaligen Menschen wohl gesehen haben, wenn Fackeln oder Kienspäne die finsteren Höhlen eher mager beleuchteten als ausleuchteten. Ein kurzes Aufflackern da und dort, und schon sprang ein Tier aus der Felswand hervor oder ein Jäger schoss einen Pfeil ab. Dann Düsternis und alle wieder um ein Feuer sitzend.


Eigentlich geht es nur um Pigmente auf irgendeinem Bildträger. Dachte ich mir beim genauen Ansehen von flachen Servierschalen der alten Griechen. Wieder der rostfarbene Rotton und das rußige Schwarz von ehedem, aber jetzt mit Weiß gehört. Da waren sie, Tiere und Menschen, die schnellen Pferde der Wagenlenker im Kampf, die Helden beim Spielen und Lieben und Sterben. Was mögen die damaligen Menschen wohl gesehen haben, wenn sie beim nächtlichen Festmahl zu Tische lagen und die vielen Öllampen den Raum erhellten. Leise flackernde Flammen, sonst samtige Dunkelheit. Und dann ein Sklave eine der prächtig bemalten Schalen hereintrug, langsam an den Gästen vorbeiging und sie alle von unten die Bilder auf den Schalen nun sehen konnten. Ein kurzes Aufflackern da und dort, die Bewegung der Schale dazu, und schon sah man die Pferde vor den Kutschen in Bewegung, hörte das Pferdegetrappel, die Schreie der Kämpfer und das Stöhnen beim Sterben oder Lieben. Und dann alle um den Tisch und die Schale vor ihnen auf dem Tisch. Und die nächste Schale trug man herein.


Eigentlich geht es nur um Pigmente auf irgendeinem Bildträger. Und der durfte jetzt ruhig auch mal Gold sein – oder zumindest so aussehen. Und davor sich eine große und sehr bunte Szene abspielen: wie im Moment die drei Könige aufschlagen und ihre Geschenke darbringen. Spätmittelalterliche Pracht, leicht hölzerne Bewegung aus seltsamer Erstarrung heraus. Als plötzlich das Licht im Kölner Dom ausfiel, der schöne Dreikönigsaltar kurz im abendlichen Duster versank. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Die vielen kleinen Kerzen vor dem Altar gaben Licht wie ein funkelnder Sternenteppich zu Füßen des Altars und ich ein Wunder sah: Wie zärtlich Maria das nackte Jesuskind in ihren Händen hielt, die Könige in ihren prächtigen Gewändern auf die Knie fielen, alles in fließender Bewegung war – selbst den Wind, der die königlichen Fahnen bewegte, meinte ich zu sehen. Und die vielen Heiligen der seitlichen Altartafeln waren am Schnattern. Richtige Kölner halt, dachte ich mir, hat Stefan Lochner da gemalt. Da gingen die Scheinwerfer wieder an und badeten den Altar aufs Neue in Licht. Und alles auf dem Altarbild stand wieder still.


Eigentlich geht es nur um Pigmente auf irgendeinem Bildträger. Und es wird sehr turbulent, wie die römischen Soldaten nach Jesus greifen, um ihn gefangen zu nehmen. Dabei kommt mir der Gedanke, dass nachdem die Renaissance fast alle Probleme der räumlichen Darstellung gelöst hatte und sich alles ziemlich perfekt perspektivisch darstellen ließ, Caravaggio hier etwas entscheidend Neues bringt: Er hat sich auf die Suche gemacht und den Lichtschalter im Bild gefunden. Zugegebenermaßen einen noch mit Wackelkontakt. Dennoch: Das Licht streicht über die Bilder und erweckt sie zum Leben, und jetzt plötzlich streicht Licht im Bild über die dargestellten Personen und Dinge und macht sie lebendig. Verwandelt Pigmente auf irgendeinem Bildträger in Licht. Und es ward Licht – denke ich mir.


Eigentlich geht es nur um Pigmente auf irgendeinem Bildträger. Das geht dann durchaus auch dreidimensional, denke ich mir. Wie weißer Schaum mit goldenen Einsprengseln sich im elegant gestaffelten Raum verteilt und von unten wie goldene Eruptionen die Altäre dem sogenannten Dießener Himmel entgegenwachsen. Alles hell, sehr hell, und die ganze Kirche für hereinfallendes Sonnenlicht gemacht zu sein scheint. Ein einzigartiges Rokokodelirium. Da fällt mir ein Bild eines Seitenaltars auf, das sich gegen die ganze Lichtflut behaupten kann. Ein Heiliger Sebastian. Es gibt Muskeln und Luxusseidenstoffe zu sehen – und in den Körperschatten komplementäre Farben. Es wirkt wie ein Fenster in eine zweite, andere sehr helle, überdeutliche Welt, ein Durchbruch, welchen Tiepolo da gemalt hat. Aus dieser anderen Welt kommt Licht.


Eigentlich geht es nur um Pigmente auf irgendeinem Bildträger. Und aus den weiter entfernten Ausstellungsräumen leuchten sie hervor, strahlende Sommertage mit warmer Luft durch die Pappeln. Alles nur noch flirrendes Licht, ein Summen und Gleißen von fast unirdischer Intensität. Manets Bilder verwandeln alles in Licht und Luft. Ein Leuchten im Bild, dass ich unwillkürlich die Augen etwas zusammenzwicke, geblendet wie ich bin, von diesem fernen Sommertag.


Eigentlich geht es nur um Pigmente auf irgendeinem Bildträger, denke ich mir, wenn ich in meinen Paletten die Farben zu mischen beginne. Wie ich die Farbe auf die Leinwand oder auf das Papier bringen werde, ich damit spielen werde – plötzlich das Licht im Bild angeht und dann das eigentliche Spiel begonnen haben wird!


Robert C. Rore, 2018